Heute Samstag finden weltweit Protestkundgebungen gegen das geplante plurilaterale Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA, statt (Abkommenstext als PDF: Rechtsverbindliche englischsprachige Fassung, Übersetzung auf Deutsch). ACTA ist umstritten – so umstritten, dass beispielsweise der EU-eigene Berichterstatter das Abkommen scharf kritisierte, die slowenische Vertreterin ihre Unterschrift unter das Abkommen öffentlich bedauerte und zahlreiche Staaten das Abkommen vorerst nicht unterzeichnen oder, falls bereits unterzeichnet, vorläufig nicht ratifizieren.
Wieso ist ACTA umstritten?
Wieso ACTA derart umstritten ist, erklären unter anderem die Piratenpartei, die Digitale Gesellschaft, das deutsche «Grün Digital»-Weblog und die gesamteuropäische Organisation «European Digital Rights» (EDRI, PDF). Das Magazin «The Atlantic» zieht einen Vergleich mit dem ebenfalls umstrittenen amerikanischen Stop Online Piracy Act (SOPA) und der deutsche Professor Axel Metzger möchte gemeinsam mit anderen Rechtsprofessoren ACTA verhindern (PDF).
Wie aber positioniert sich momentan die offizielle Schweiz?
Position der offiziellen Schweiz zu ACTA
Die Schweiz war an den ACTA-Verhandlungen beteiligt, unterzeichnete am 1. Oktober 2011 das Abkommen allerdings noch nicht. Sie bestätigte anlässlich dieser Unterzeichnungszeremonie aber ihre volle Unterstützung für ACTA und versicherte, die Unterzeichnung so bald wie möglich vorzunehmen (PDF). Aufgrund dieser Schweizer Beteiligung an ACTA findet heute Nachmittag auch in Zürich eine Kundgebung gegen ACTA statt (Treffpunkt um 13 Uhr auf dem Helvetiaplatz, Kundgebung bewilligt).
In der Schweiz ist das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE) für ACTA zuständig und dort wiederum Mathias Schaeli als Leiter «Internationale Handelsbeziehungen». Vor zwei Wochen veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) verschiedene Aussagen von Herrn Schaeli zu ACTA, unter anderem zur möglichen Unterzeichnung durch die Schweiz noch in diesem Jahr. Im Nachgang dazu richtete ich vier Fragen an das IGE, die mir freundlicherweise von Herrn Schaeli umfassend beantwortet wurden:
Fahrplan bezüglich ACTA-Unterzeichnung und -Ratifizierung
Einleitend fragte ich, wie aus Sicht des IGE der weitere Fahrplan bezüglich ACTA in der Schweiz aussehe, insbesondere in Bezug auf Unterzeichnung und Ratifizierung:
«Bei internationalen Abkommen wie ACTA erfolgt nach dem Abschluss der Verhandlungen als nächster Schritt die Unterzeichnung, welche jeweils vom Bundesrat zu beschliessen ist. Das Abkommen ist anschliessend zur Genehmigung dem Parlament vorzulegen. Die verwaltungsinternen Arbeiten für diese Verfahrensschritte laufen derzeit, einen fixen Zeitplan hierfür gibt es nicht. ACTA steht den Verhandlungsparteien zur Unterzeichnung bis 1. Mai 2013 offen. Auch ist ein Vernehmlassungsverfahren geplant, bevor das Abkommen dem Parlament vorgelegt wird. Dies mit dem Zweck, interessierten Kreisen Gelegenheit zur Stellungnahme zum vorgeschlagenen Abkommen zu geben. Ein solches Verfahren würde dieses Jahr durchgeführt, zeitlich aber wohl erst gegen Sommer oder im 2. Semester des Kalenderjahres.»
Die angekündigte Vernehmlassung zu ACTA ist begrüssenswert. Allerdings können sich die Vernehmlassungsantworten faktisch nur auf Ablehnung oder Befürwortung von ACTA beziehen, da einseitige nachträgliche Änderungen am Abkommen durch die Schweiz ausgeschlossen sind.
Fakultatives Referendum über ACTA
Anschliessend fragte ich, ob das IGE davon ausgeht, dass ACTA dem faktultativen Referendum unterliege:
«Grundsätzlich unterliegen internationale Abkommen, die vom Parlament zu genehmigen sind, auch dem fakultativen Referendum.»
In diesem Fall könnten 50’000 Schweizer Stimmbürger mit ihren Unterschriften erzwingen, dass eine Volksabstimmung über die Ratifizierung von ACTA durch die Schweiz abgehalten wird (Art. 141 Abs. 1 BV). Daneben verfügt das schweizerische Parlament unabhängig davon über die Möglichkeit, ACTA dem Referendum zu unterstellen.
Die Piratenpartei Schweiz hat – gemeinsam mit anderen Parteien und Politikern – bereits erfolgreich mit über 70’000 gesammelten Unterschriften das Referendum gegen die Wiedereinführung der Buchpreisbindung ergriffen. Mit geeigneten Partnern wäre vermutlich auch ein Referendum gegen ACTA denkbar. In jedem Fall würde damit die Position der Schweiz zu ACTA durch einen direktdemokratischen Entscheid legitimiert.
Mehrwert von ACTA für die Schweiz
Meine nächste Frage bezog sich auf die Notwendigkeit von ACTA für die Schweiz, obwohl das IGE selbst betone, dass dadurch keine Schweizer Gesetze betroffen seien. Herr Schaeli beantwortete diese Frage leicht abgewandelt dahingehend, inwiefern ACTA für die Schweiz einen Mehrwert bedeuten könne, obwohl gar keine Schweizer Gesetze geändert werden müssten und nahm ausserdem ausdrücklich Bezug auf die – seiner Meinung nach falsche – Bezeichnung von ATCA als «Internet-Abkommen»:
Umfassender Geltungsbereich von ACTA
«Der im ACTA- und der Schweizer Gesetzgebung vorgesehene Schutz und dortige Massnahmen gegen die grossangelegte, kommerziell organisierte Fälschung und Piraterie gehen über die bisherigen internationalen Mindeststandards hinaus (aber eben nicht über die Schweizer Gesetzgebung).
Zudem sind die Bestimmungen zu Schutzstandards und -massnahmen gegen Fälschung und Piraterie ja nur ein Teil von ACTA. Das Abkommen sieht daneben insbesondere auch eine bessere Koordination, den vermehrten Informationsaustausch und allgemein die engere Zusammenarbeit unter den ACTA-Mitgliedstaaten vor bei ihren Anstrengungen solche Fälschungs- und Piraterieaktivitäten zu bekämpfen. Da diese Aktivitäten heute grenzüberschreitend, ja global organisiert sind, ist auch nur bei Koordination und Zusammenarbeit unter den Staaten ein effektives Vorgehen gegen solche kriminellen Aktivitäten möglich.»
Volkswirtschaftliche Bedeutung von ACTA
«Fälschung und Piraterie haben über die letzten Jahre dramatisch zugenommen. Auch das global organisierte Verbrechen benutzt heute den Markt für gefälschte Produkte und Pirateriewaren als Geldquelle. Fälschung und Piraterie betreffen heute längst nicht mehr nur die Luxusgüterindustrie, sondern auch Artikel des täglichen Gebrauchs, vom Instant Coffee über Rasierklingen, Zahnpasta und Ersatzteile für Maschinen, Autos und Flugzeuge. Diese Produkte stellen eine Gefahr für den Konsumenten dar. [G]rossangelegte Fälschung und Piraterie [bedeuten] aber auch einen beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden und stellt zum Beispiel für die auf Innovation und Export ausgerichtete Schweizer Volkswirtschaft eine Gefahr dar. Gefälschte Produkte und Piraterie verletzten Rechte. Ein Rechtsstaat muss national dafür sorgen, damit [sic!] Rechtsdurchsetzung erfolgreich möglich ist, Rechtsverletzungen also effizient geahndet werden können. Wenn er sich für dieses Ziel auch international einsetzt, so ist das konsequent.»
Keine Internet-spezifischen Änderungen durch ACTA
«Von gewissen Kreisen wird ACTA fälschlicherweise als ‹Internet-Abkommen› bezeichnet. Von den 45 Bestimmungen des Abkommens über Fälschung und Piraterie befasst sich nur gerade eine einzige Bestimmung, nämlich Art. 27, explizit mit dem Aspekt der Fälschung und Piraterie im digitalen Bereich. Auch Art. 27 fokussiert also nicht auf das Internet, sondern geht es dabei auch um das illegale Kopieren von CDs, Software, Filmen usw. Weiter wichtig (weil auch immer wieder fälschlicherweise als Vorwurf erhoben): ACTA sieht KEINE Verpflichtung der ISPs zu einem Monitoring von Internetinhalten vor. Auch ist keine Verpflichtung vorgesehen, Internetanschlüsse zu sperren, wenn ein User urheberrechtsverletzenden Inhalt herunterlädt (bewusst oder unbewusst). Von der Einführung einer Zensur durch ACTA kann deshalb keine Rede sein. Art. 27 hält hingegen den Grundsatz fest, dass die Rechtsdurchsetzungsmassnahmen gegen Fälschung und Piraterie auch im digitalen Bereich Anwendung finden sollen. Wie gesagt ändert sich damit und mit ACTA gegenüber der heutigen Schweizer Gesetzgebung aber nichts, respektive wird das schon so vorgesehen. Somit bleibt auch der private Download, auch von geschützten Inhalten, in der Schweiz zulässig.
Rechtsdurchsetzungsmassnahmen sind wichtig und richtig. Sie sollen aber nicht über das Ziel hinausschiessen. ACTA hält das explizit und mehrmals im Abkommen fest und verpflichtet die Mitglieder, diese Balance und den Interessenausgleich, sowie die Prinzipien der freien Meinungsäusserung/Zugang zu Information, die Achtung der Privatsphäre und den Datenschutz zu gewährleisten (siehe dazu zum Beisiel Absatz 6 der Präambel, Art. 4.1.(a), Art. 6.2. und 3 und in Art. 27.2 des ACTA-Texts).»
Keine verstärkten Informationsbemühungen zu ACTA
Abschliessend wies ich auf die schwierige Informationslage hin und erkundigte mich nach etwaigen Plänen des IGE, seine Informationsbemühungen bezüglich ACTA zu verstärken. Leider liess sich Herr Schaeli dazu keine weiteren Auskünfte entlocken. Er erwähnte stattdessen die IGE-Webseiten zu «Fälschung und Piraterie» im Allgemeinen als auch die ACTA-spezifische Seiten auf der IGE-Website. Im Übrigen plant das IGE den ACTA-Text nach Englisch und Französisch auf Deutsch zu veröffentlichen, wobei man heute bereits eine deutsche Übersetzung auf der Website der Europäischen Kommission findet (PDF).
Herrn Schaeli danke ich an dieser Stelle bestens für seine freundliche Bereitschaft, meine Fragen an das IGE zu beantworten.